Unbeschreiblich Weiblich – Tanz der Polaritäten

13. April 2021
Artikel aktualisiert am 18.05.2023

Weiblichkeit im Orient

„Verführerischer Blick, leuchtende Kleider, Bauchtanz, nackte Haut: Frauen im Harem. Zu allem bereit. Schön, willig und ohne Verstand. Das sind verbreitete Bilder. Fatima Mernissi ist in einem Harem in Marokko aufgewachsen. Und ist ihrerseits fasziniert von solchen – westlichen – Phantasien (…) Sie dagegen erzählt die wirklichen Geschichten aus dem Orient: Von wilden Prinzessinnen, die ihrem Prinzen zu Pferd nachreisen, von klugen Frauen, die in den Wissenschaften glänzten, von musischen Frauen, die dichteten, sangen und auf Instrumenten brillierten…“
(aus dem Klappentext zu: Harem, Westliche Phantasien – östliche Wirklichkeiten)1

Unbeschreiblich weiblich

Viele Frauen kommen in meine Kurse mit dem Wunsch, ihre Weiblichkeit zu leben, weicher und beweglicher oder lockerer – vor allem im Becken zu werden. Sie bringen ein häufig anzutreffendes Bild von Orientalischem Tanz mit: Weiche, sinnliche, erotische, anmutige Bewegungen im weiblichsten aller Tänze und den Wunsch und die Sehnsucht, diese Seite auszuleben. Ein verständlicher Wunsch in einer Welt, die sich an Logik, Leistung und Effizienz orientiert.

Groß ist oft die Überraschung wenn die Stunde mit Übungen zu Erdung, kraftvollem Auftreten und direkter Bewegung im Raum beginnt. Der männliche Aspekt dieser Tanzform ist für die meisten Teilnehmerinnen überraschend und neu – werden dem Tanz im allgemeinen doch eher Weichheit, Erotik, Sinnlichkeit usw. zugesprochen. Unsere Gesellschaft stellt Werte wie Leistung, Rationalität oder Effizienz in den Vordergrund.  Qualitäten wie Hingabe, Intuition und Empfindsamkeit werden ganz selbstverständlich „dem Weiblichen“ zugeordnet. So versuchen Frauen „ihren Mann zu stehen“ und fühlen sich gleichzeitig für die „typisch weiblichen“ emotionalen Belange zuständig. Das kann dazu führen, dass weder die eine noch die andere Seite wirklich integriert wird.

Anima und Animus

Alles, was unsere Kultur als weiblich bezeichnet, wie Hingabe, Intuition, Empfänglichkeit, Irrationalität, das Dunkle, Beziehung zur Natur, Beziehung zum Unbewussten bezeichnet C.G. Jung als Anima, als Verkörperung der weiblichen Anteile im Mann. Als Animus, also die Verkörperung der männlichen Anteile in der Frau, bezeichnet Jung alles, was unsere Kultur als männlich ansieht, wie Aktivität, Kraft, Durchsetzung, Rationalität, Intellekt. Diese Zuordnungen von entgegengesetzten Eigenschaften zu „männlich und weiblich“ – und damit auch Männern und Frauen müssen wir in einen Zusammenhang setzen mit der Zeit, in der C.G. Jung lebte und arbeitete – und dem damals bestehenden Zeitgeist.

„Frauen sind in den meisten Kulturen marginalisiert, das Andere, das Unsichtbare und das Fremde, gegenüber dem dominanten männlichen Geschlecht. Die Zuschreibungen von natürlichen Eigenschaften zu den Geschlechtern können dabei jedoch stark variieren:
„Während z.B. in Europa und in den USA die Frau als emotional und der Mann als rational gilt, wird dem Mann im Iran Emotionalität zugesprochen und zugestanden, und es wird nicht von ihm erwartet, sehr logisch zu sein. Die Frauen gelten hingegen als äußerst praktisch. Ihnen werden viele Eigenschaften zugeschrieben, die in den USA von Männern erwartet werden [Hall 1959:67].“ (56)“.

(NÜRNBERGER, 2001)2

Balance

Ein faszinierender Aspekt im Ägyptischen Tanz ist die Möglichkeit, „männliche und weibliche“ Prinzipien zu balancieren. Das Bewegungsvokabular verlangt von der Tänzerin die Integration von Yin und Yang, kraftvoll und weich, energisch und nachgiebig. Wir tanzen dabei um Themen wie Krafteinsatz – Hingabe, Festhalten – Loslassen, Zentrierung – Abgrenzung, ganz bei mir und doch offen zu sein.

Ist eine Seite nicht gut entwickelt (z.B. Kraft) gibt es meist auch Schwierigkeiten mit dem Gegenpol (z.B. Nachgiebigkeit, Hingabe). Das kann vielerlei Auswirkungen haben. Wird z.B. die eigene Kraft nicht dazu verwendet, Grenzen zu setzen und für eigene Bedürfnisse zu sorgen, kann sie gleichzeitig als Überanstrengung zur Burnout-Ursache werden.


Literatur

1 Fatima Mernissi. Harem, Westliche Phantasien – östliche Wirklichkeiten. Klappentext der gebundenen Ausgabe, Verlag Herder Freiburg im Breisgau 2000, ISBN 3-451-27310-1

2 Nürnberger, Marianne, Tanz / Ritual – Integrität und das Fremde, http://homepage.univie.ac.at/marianne.nuernberger/Tanz-3.html#Geschlechterrollen

Ashra Baladi Skriptum

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